SPIEGEL: In einem Gespräch mit dem SPIEGEL haben Sie vor drei Jahren gesagt, das Leben schwarzer Frauen werde im deutschen Fernsehen nicht dargestellt. Bei »Löwenzahn« spielen Sie mittlerweile die Journalistin Marla Blum, bei Arte moderieren Sie ein neues Konzert-Format, in einem Musikvideo von Carolin Kebekus waren Sie als Gott zu sehen. Es verändert sich was, oder?
Buabeng: Einerseits: ja. Mein Telefon steht nicht mehr still. Und so geht es vielen meiner schwarzen Freunde. Wir werden gefragt, ob wir schwarze TänzerInnen, PoetryslammerInnen, KünstlerInnen kennen. Und dass Kinder mich im Fernsehen als Journalistin sehen, ohne dass meine Hautfarbe oder Herkunft thematisiert wird, das ist natürlich toll. Das macht mir Mut. Andererseits ist mir klar, dass es da häufig um Tokenism geht.
SPIEGEL: Sie meinen, das sei lediglich eine symbolische Anstrengung, um Menschen aus marginalisierten Gruppen als Reklame zu nutzen?
Buabeng: Genau. Eigentlich hatte ich die Hoffnung, dass das der erste Schritt ist. Und es dann selbstverständlich wird, auf Diversität zu achten. Und dann kam »Die letzte Instanz« im WDR. Das hat mich wirklich umgehauen.
SPIEGEL: Die Sendung, in der weiße Menschen darüber abgestimmt haben, welche Begriffe diskriminierend seien.
Buabeng: Ja. Danach war mir klar: Die meisten weißen Menschen checken nichts. Und sie werden auch nie etwas checken. Und mehr noch: Rassismus kümmert sie nicht.
SPIEGEL: Der WDR wurde für die Sendung stark kritisiert und hat anschließend versucht, sich zu entschuldigen.
Buabeng: Das ist lächerlich. Es wurde behauptet, rassistisch zu sein, sei keine Absicht gewesen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, durch wie viele Instanzen eine Sendung geht, ehe sie ausgestrahlt wird. Diesem Talkshowkonzept hat hinter den Kulissen offenbar niemand widersprochen. Und im Publikum saßen auch nur WDR-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter. Zu sehen, an welchen Stellen die johlen und klatschen, hat mich sehr verletzt. Und dann hat der WDR kurz danach in einer Karnevalsübertragung Blackfacing gezeigt. Das ist wie eine Ohrfeige. Manchmal habe ich das Gefühl, man will uns mit diesen Praktiken beschäftigt halten.
SPIEGEL: Wie meinen Sie das?
Buabeng: Wenn es nach den rassistischen Anschlägen in Hanau und Halle wirklich ein Bewusstsein dafür gäbe, Rassismus bekämpfen zu wollen, dann würde der WDR jede Sendung genau scannen. Daher glaube ich manchmal, man will uns klein halten, müde und abgekämpft. Denn die Zeit, die wir BIPoC-Leute (Abkürzung für Black, Indigenous, People of Color) dafür brauchen, uns aufzuregen, offene Briefe zu schreiben, Rassismus zu erklären, diese Zeit fehlt uns an anderer Stelle. Deshalb habe ich jetzt beschlossen, das zu ändern.
SPIEGEL: Sie wollen keine offenen Briefe mehr unterzeichnen?
Buabeng: Ja. Erstens ist das nicht mein Job. Zweitens erhält man meistens sowieso nur eine Copy-Paste-Antwort. Und drittens führt es zu nichts, Erwartungshaltungen an die weiße Mehrheitsgesellschaft zu haben. Ich habe vergangenen Sommer die Gruppe »BlackWomxnMatter Germany« gegründet und alle meine schwarzen Freundinnen eingeladen. Mittlerweile sind wir allein in Berlin mehr als 300. Dieser Austausch tut mir gut, mehr als jeder offene Brief.
SPIEGEL: Der SWR hat sie zusammen mit Hadnet Tesfai und Tasha Kimberly für eine neue Talkshow verpflichtet. In »Five Souls« soll es um Familie, Partnerschaft, Sex, Berufsleben gehen. Ist das nicht eine Antwort auf den WDR?
Buabeng: Das neue Format ist bombastisch, stand schon vor dem WDR-Debakel. Man kann dem WDR fast dankbar sein: Es war sowieso Zeit für eine BIPoC-Talkshow, aber nach der Nummer mit »Der letzten Instanz« ist der Wunsch nach unserer Talkshow noch größer geworden. Und ich freue mich, mal über Alltagsthemen reden zu können, so wie jede weiße Person in jeder Talkshow. Und nicht immer nur zu Rassismus befragt zu werden.
SPIEGEL: Auch ich, eine weiße Frau, bringe Sie ja gerade wieder in diese Situation, in dem ich Sie bitte, unsere Rassismen zu erklären.
Buabeng: Klar, das ist anstrengend. Aber in erster Linie mache ich das eh für meine Community. Und für die junge Generation. Die sollen anders als wir aufwachsen, auch mit schwarzen Vorbildern. Alle sollen das Gefühl haben, Teil dieser Gesellschaft zu sein.
SPIEGEL: Dafür haben Sie ein eigenes Comedy-Format für YouTube entwickelt: In »Tell Me Nothing From The Horse« spielen Sie fünf schwarze, sehr unterschiedliche Frauenfiguren. Hat ein Sender bei Ihnen angerufen, um die Show ins Programm zu nehmen?
Buabeng: Wir hatten mal ein paar Gespräche, aber niemand hat sich bislang getraut. So weit ist die weiße Mehrheitsgesellschaft einfach nicht. Erst seit den Black Lives Matter-Protesten haben schwarze Menschen überhaupt eine gewisse Sichtbarkeit.
SPIEGEL: Erzählen wir inzwischen weniger offensichtliche rassistische Klischees?
Buabeng: Na ja. Früher wurde ich hauptsächlich angerufen, wenn man mich als Putzfrau, Dienstmädchen oder Sklavin besetzen wollte. Es war egal, dass ich im Rheinland aufgewachsen bin, perfekt Deutsch spreche, witzig und selbstbewusst bin. Man wollte mich nur so zeigen, wie man BIPoCs in unserer Gesellschaft sah: als Opfer. In der letzten Zeit habe ich aber Anwältinnen, Direktorinnen und Polizistinnen gespielt. Dennoch muss ich nur Netflix öffnen, um Stereotype zu sehen.
SPIEGEL: Zum Beispiel?
Buabeng: In der erfolgreichen Serie »Das Damengambit« etwa. Da hat die weiße Hauptfigur eine schwarze Freundin, die völlig ohne eigene Geschichte auskommt und nur dann auftaucht, wenn ihre Freundin in Not ist. Sie wird nicht einmal gefragt, wie es ihr geht. Sie diente nur dazu, die Handlung voranzutreiben. Richtig aufgeregt habe ich mich auch über »Green Book«. Bei der Premiere des Films saß ich neben anderen BIPoCs. Und wir haben uns gegenseitig so vor Wut gekniffen, dass meine Knie am nächsten Tag blau waren.
SPIEGEL: Weil der Film eine »White Savior«-Geschichte erzählt?
Buabeng: Genau. Weil es um einen weißen Retter geht, ohne den die scheinbar hilflose schwarze Hauptfigur nicht auskommen kann. Das ist eine grauenhafte rassistische Praktik.
SPIEGEL: Was halten Sie vom »Colorblind Casting«, also der Praktik, die in der Vorlage weißen Figuren mit nichtweißen Schauspielern und Schauspielerinnen zu besetzen? Bei dem Kostümdrama »Bridgerton« hat das eine große Diskussion ausgelöst.
Buabeng: Ich finde es bemerkenswert, wie reflexhaft diese Debatte losbricht. Jahrelang wurde »Whitewashing« in Hollywood-Blockbustern betrieben: Weiße Schauspielerinnen spielten Kleopatra und andere schwarze Rollen. Da haben sich weiße Zuschauer aber nicht über »Colorblind Casting« aufgeregt. Kaum spielen nichtweiße Menschen in Historienfilmen mit, gucken alle ganz genau hin.
SPIEGEL: Viele haben sich aber auch darüber gefreut, dass das Historiendrama, ein sehr weißes Genre, endlich divers wird.
Buabeng: Andere hatten aber Sorge, dass Jugendliche das missverstehen könnten – und die fiktionale Serie für eine Geschichtsdoku halten. Und klar, ich möchte auch nicht, dass wir Geschichte verfälschen. Kinder sollen in 20 Jahren nicht denken, dass Rassismus kein Problem gewesen sei, weil sie etwa bei »Bridgerton« sahen, dass es ja mal eine schwarze Königin gab. Gleichzeitig denke ich: endlich! Bei »Game of Thrones« habe ich darauf vergeblich gewartet.
SPIEGEL: Inwiefern?
Buabeng: Da gibt es Drachen und Zauberer, aber schwarze Menschen tauchen trotzdem nur als Sklaven auf. Selbst in einer fiktiven Welt, in der alles möglich ist, sind schwarze Figuren also nur Opfer. Hat da mal jemand nach »Colorblind Casting« gefragt? Wenn, dann wird wohl jemand geantwortet haben: ›Ein schwarzer König? Na, jetzt wollen wir aber mal nicht übertreiben!‹ Schön, dass sich das mittlerweile ändert. Je bunter, mutiger, diverser es wird, desto besser ist es.
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