Search

Leylah Fernandez: Die Teenagerin mit der Wundervorhand - ZEIT ONLINE

Die Teenagerin mit der Wundervorhand – Seite 1

Leylah Fernandez scheint geschlagen. Ausgerechnet beim Stand von 5:5 im entscheidenden Tiebreak des Viertelfinals der US Open hat sie den Return unsauber getroffen. Den anschließenden Angriffsball ihrer Gegnerin hat sie mit der Rückhand irgendwie noch übers Netz geschaufelt. Ihre Gegnerin, Elina Svitolina, ist als langjährige Top-10-Spielerin ans Netz vorgerückt und setzt zum Volley an, während Fernandez zu allem Übel stolpert.

Plötzlich steht die eine Hälfte der Fans im größten Tennisstadion der Welt Kopf, die andere Hälfte schaut sich staunend an. Irgendwie ist Fernandez mit schnellen Schritten in die andere Ecke gelangt, schwingt ihre Vorhand, die Expertinnen erst noch analysieren müssen, über den Kopf und passiert die ungläubig schauende Svitolina. Die Netzkante spielt bei diesem kleinen Wunder auch noch mit.

Es ist die entscheidende Szene, und die junge Kanadierin Fernandez hebt die Hände weit über den Kopf, halb entschuldigend, halb jubelnd. Den anschließenden Matchball verwandelt die während des Turniers 19 Jahre alt gewordene Newcomerin, weil der Return der acht Jahre älteren Kontrahentin ins Aus segelt.

Leylah Fernandez hat nach der Titelverteidigerin Naomi Õsaka und Angelique Kerber, die mit der Empfehlung von zuletzt 17 Siegen aus 19 Matches gegen sie angetreten war, die nächste Topspielerin bei den diesjährigen US Open in Flushing Meadows ausgeschaltet. In der Nacht zum Freitag trifft sie im Halbfinale auf die Belarussin Aryna Sabalenka, die Nummer zwei der Welt.

Fernandez ist eine von zwei weiblichen Teenagern mit einer Einwanderergeschichte, die in diesen Tagen von New York für Schlagzeilen sorgen. Die ein paar Monate jüngere Britin Emma Raducanu, die im Viertelfinale die Olympiasiegerin Belinda Bencic schlug und zur ersten Qualifikantin im Halbfinale der US Open aufstieg, war schon vor dem Turnier bekannt, weil sie in Wimbledon überraschte.

Ein Tennisschläger in Pink

Für die Linkshänderin hingegen ist es das erste sportliche Ausrufezeichen, sie war bisher nur Fachreportern ein Begriff. Mit dem Sieg gegen Svitolina stieg Fernandez aber zur jüngsten Spielerin seit Serena Williams auf, die zwei Top-5-Spielerinnen in New York besiegt hat. Williams gewann damals, 1999, ihren ersten von 23 Grand-Slam-Titeln.

Von solchen Titeln konnte die 19-jährige Fernandez bisher nur träumen, auch wenn sie vor zwei Jahren die Juniorinnen-Konkurrenz bei den French Open gewann. Der Übergang zu den Damen ist jedoch schwierig. In diesem Februar sicherte sie sich in Mexiko ihren ersten WTA-Titel, gewann seitdem aber nie mehr zwei WTA-Hauptfeldmatches in Serie. Bei den US Open sind es für die Nummer 73 im Ranking gleich derer fünf geworden.

Fernandez ist das mittlere von drei Mädchen einer Einwandererfamilie aus Montreal. Ihre Mutter hat philippinische Wurzeln. Ihr Vater Jorge, ein ehemaliger Fußballprofi aus Ecuador, war und ist ihr Trainer. Klingt nach der klassischen Tennisstory des Vaters, der viel sportlichen Druck ausübte. Fernandez selbst ist in diesen Tagen aber voll des Lobes für ihn. "Ich war ständig beim Fußball dabei. Doch er hatte das Gefühl, dass wir das nur wollen, weil er Profi war, also ließ er uns alle möglichen Sportarten probieren." Ein Tennisschläger in Pink als Geschenk von ihm habe früh den Ausschlag gegeben. Der Antrieb, Profi zu werden, sagt sie, kam mit elf, zwölf von Innen.

Aufschwung des kanadischen Tennis

Heute wird sie zusätzlich von Coach Romain Deridder geformt. In der Spielerbox während des Turniers kochen die Emotionen der Familie und des Teams zum Teil hoch. Mit ihrem Umfeld scheint der Shootingstar im Reinen zu sein.

Probleme gab es früher jedoch im Förderungssystem des kanadischen Verbands. "Mein Vater hat mir Werte durch den Sport vermittelt, das hat mich geformt", sagt Fernandez. "Er brachte mir bei, dass es nicht immer leicht für mich sein würde, dass ich ein paar Mal übersehen werden könnte – und das ist mir als Juniorin passiert." Ein kanadisches Trainingsprogramm hatte sie einst für zu klein und nicht gut genug befunden.

Die Spielerin selbst erklärte ihr Verhältnis zum kanadischen Tennisverband sehr professionell: "Es gab früher kommunikative Schwierigkeiten. Doch als sie gemerkt haben, dass wir nicht so anders sind, und was wir als Familie investieren, wurde es besser und sie haben sehr geholfen, vor allem mit schwierig zu erhaltenen extra Hallenzeiten und Turnierzusagen."

Der kanadische Verband hat in diesem Jahrtausend ohnehin eine enorme Entwicklung hingelegt. Unter dem CEO Michael Downey wurde der Ansatz als Non-profit-Organisation verabschiedet. Einnahmen wurden erhöht, andere erfolgreiche Verbände wurden beobachtet, deren Methoden kopiert, ein nationales Trainingscenter erbaut und ausländische Trainer ins Land gelotst.

Gratulation von Justin Trudeau

2019 gewann Bianca Andreescu als erste Kanadierin ein Grand-Slam-Turnier. Seit 2014 ist Kanada das einzige Land, das je drei verschiedene Halbfinalisten bei Grand Slams bei Herren und Damen vorweisen konnte. In dieser Woche kamen Félix Auger Aliassime und Fernandez hinzu.

Natürlich bleibt Tennis ein Einzelsport und jede Spielerin muss als Profi eigene Wege gehen. Fernandez lebt und trainiert heute mit den Eltern und der jüngeren Schwester Bianca, die auch Tennis spielt, in Boynton Beach in Florida. Sie besticht durch Ehrgeiz und Selbstvertrauen. "Von einem sehr frühen Alter an wusste ich, dass ich jede schlagen kann, jede, die mir gegenübersteht. Ich war auch in anderen Sportarten so ein Wettbewerbstyp, habe mir gesagt: Das gewinne ich. Sogar, dass ich gegen meinen Vater im Fußball gewinne, obwohl das unmöglich ist. Aber ich hatte immer diesen Glauben in mir", sagt sie. "Das hat sich nun bewahrheitet."

Die große Bühne ist ihr sicher. Zum Halbfinaleinzug gratulierte der Premierminister Justin Trudeau auf Twitter. Und für Leylah Fernandez ist noch mehr möglich.

Adblock test (Why?)

Artikel von & Weiterlesen ( Leylah Fernandez: Die Teenagerin mit der Wundervorhand - ZEIT ONLINE )
https://ift.tt/3A1n1IP
Sport

Bagikan Berita Ini

0 Response to "Leylah Fernandez: Die Teenagerin mit der Wundervorhand - ZEIT ONLINE"

Post a Comment

Powered by Blogger.