
Berlin - Menschen werden immer mehr mit der Technologie verschmelzen, prognostizierte der Wiener Biotechnologe Markus Schmidt in einem Interview, das im Juli dieses Jahres in der Berliner Zeitung erschien. Ohne einen Gehirnchip könnten Menschen in Zukunft sogar einen Nachteil haben, so Schmidt. Karl Hecht verfasste daraufhin einen empörten Brief. Der 97-jährige Berliner Professor für Neurophysiologie schrieb, dass er in der Neurotechnologie einen massiven Einschnitt in die Natur des Menschen sehe und Gehirnchips verachte. Wir beschlossen, mit Hecht zu sprechen und besuchten ihn in seiner Wohnung in Köpenick. Ein Gespräch über die Zukunft der Menschen, die Gefahr der Technologisierung und wie man es schafft, fast 100 Jahre alt zu werden – ganz ohne Technik.
Herr Professor Hecht, Sie haben uns geschrieben, dass Sie die Neurotechnologie – also Prozesse, die unmittelbar mit unserem Nervensystem interagieren – verachten. Warum?
Ich erkläre es gerne an einem Beispiel – an der Forschung des spanischen Professors José Delgado, den ich auch selbst 1968 auf dem Weltphysiologiekongress in Washington erlebt habe. In einem Filmvortrag zeigte er sein umstrittenes Experiment mit einer Affenherde, in der es einen aggressiven Leitaffen gab. Wenn dieser Affe wütend wurde, nahm er seine Pfote ins Maul, schrie und schlug danach die Tiere in der Herde. Delgado implantierte also auf den Kopf des Leitaffens einen Stimoceiver-Chip.
Also eine Art Gehirn-Computer-Schnittstelle?
Genau. Den Chip implantierte er in das Gehirn des Affen. Dieser konnte durch Betätigung eines großen Hebels durch elektrische Funkwellen aktiviert werden. Das geschah mittels einer Sendeanlage, die beim Drücken des Hebels Funkwellen zu dem Chip sendete, welche dann bestimmte Hirnregionen stimulieren konnten. Wenn der Leitaffe wütend war und schrie, lief ein Affe der Herde und drückte den Hebel. Und der Leitaffe wurde auf einmal lammfromm. Später hat Delgado seine Fernsteuerung in der spanischen Stierkampfarena bei wütenden Stieren angewendet und diese in friedliche Geschöpfe verwandelt. Delgado bewies, dass man durch die Veränderung der Frequenz, der Feldstärke, der Amplitude und der Wellenform aus der Entfernung das Denken und den emotionellen Zustand seiner Versuchsobjekte verändern konnte. Man kann also mit solchen Gehirnchips die Emotionen und Gedanken steuern – auch beim Menschen. Das kritisiere ich.
Aber solche Chips, wie etwa Neuralink von Elon Musk, sollen ja in erster Linie einen therapeutischen Zweck erfüllen. Querschnittsgelähmte sollen laufen können, Parkinson-Patienten aufhören zu zittern, taube Menschen wieder hören.
Das ist ein Gesundheitsversprechen, was keiner halten kann. Das Gehirn ist noch immer eine Blackbox für Gehirnforscher und vor allem für Neurotechniker. Ich denke, dass man am Ende damit mehr Schaden anrichtet, als das es Nutzen bringt. Solche Gehirnchips können zu selbst lernenden Systemen werden, die dann eigenständig reagieren können – faktisch ein Roboterersatz. Als Weltraummediziner habe ich das etwa beim Roboter Justin mitverfolgt.
Inwiefern?
Der deutsche Astronaut Alexander Gerst hat Telerobotik-Experimente mit dem Roboter Justin durchgeführt. Gerst hat versucht, den Roboter zu steuern, aber letztendlich hat Justin alles andere gemacht, nur nicht das, was Gerst wollte. Wenn der Roboter ein selbst lernendes System hat, dann kann das zu Konflikten zwischen Schnittstelle und Menschen führen. Das sieht auch der Physiker Armin Grunwald so, ein Experte für Technikfolgenabschätzung und Leiter am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). In seinem Buch „Der unterlegene Mensch“ geht er auf die zunehmende Abhängigkeit von digitalen Technologien, das Risiko totaler Überwachung und auf den drohenden Kontrollverlust des Menschen über die Technik ein.
Wo macht Technologie für Sie Sinn?
Ich lehne nicht jede Art von Technik ab. Die Zahnprothese hilft uns, dass wir bis zum Lebensende richtig kauen können. Hörgeräte, wie ich eins habe, helfen uns zu hören. Ansonsten könnte ich Sie überhaupt nicht verstehen. Endoprothesen für Gelenke befürworte ich auch.
Und was halten Sie von den Cochlea-Hörimplantaten, die direkt mit dem Innenohr verbunden sind?
Man kann sich so ein Implantat setzen lassen, aber ich finde es eher problematisch. Es gibt eben ein Risiko und wir kennen noch nicht die Langzeitwirkung eines solchen Implantats. Letztendlich ist es so: Ich bin nur gegen Technik, wenn sie die Gesundheit der Menschen schädigt, ökologischen Schaden verursacht. Und auch chemische Eingriffe verurteile ich.
Chemische Eingriffe?
Also Medikamente in erster Linie. Ich habe mich vor vielen Jahren von der medikamentösen Behandlung getrennt, denn sie haben immer Nebenwirkungen. Seit mindestens 50 Jahren habe ich keine Medikamente mehr genommen. Ich setze stattdessen auf Mineralien und Vitamine. Als ich vor einem Jahr an der Bushaltestelle gestürzt bin, weil ich wegen der Maske nicht gut sehen konnte, habe ich mir die beiden oberen Halswirbel gebrochen. Der Arzt gab mir wenig Hoffnung, vor allem wegen meines Alters. Aber ich wollte leben. Ich habe dann Mineralien genommen, Magnesium, Zeolith, ein Silikat zur Entgiftung. Das wurde übrigens auch in Tschernobyl eingesetzt, um die Radionuklide zu binden. Das ist ein Wundermittel, führt Gifte aus und führt Mineralien zu. Auch Vitamine sind wichtig. Hohe Dosen Vitamin C können sogar Infekte beseitigen.
Wie stellen Sie sich denn das Menschenbild der Zukunft vor?
Ich möchte mich da auf die Theorie der langen Wellen des russischen Ökonomen Nikolai Kondratjew beziehen. Alle 40 Jahre gibt es einen neuen Kondratjew-Zyklus mit neuen technischen, ökonomischen Entwicklungen. Die erste lange Welle von 1787 bis 1842 wurde durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelöst und war besonders durch die industrielle Revolution gekennzeichnet. Die zweite Welle von 1843 bis 1894 war vor allem durch die Entwicklung der Eisenbahn, aber auch den Ausbau des Bergbauwesens gekennzeichnet. Die dritte lange Welle von 1895 bis etwa Ende der 1930er-Jahre war die Elektrifizierung und die Chemie, die vierte Welle wurde besonders von der Automobilindustrie bestimmt. Zurzeit befinden wir uns in der fünften Welle, der Informationstechnik. Und in der bevorstehenden sechsten Welle spielt die psychosoziale Gesundheit eine wesentliche Rolle.
Das bedeutet?
Es geht um die ganzheitliche Gesundheit der Menschen: die Psyche, den Körper des Menschen. Wir müssen die Gesundheit in den Vordergrund stellen, damit auch die Wirtschaft in Zukunft funktionieren kann. Wir dürfen die Natur nicht weiter zerstören, denn auch das wirkt sich auf die Gesundheit aus. Ich hoffe, dass die Menschheit es schafft, eben nicht nur nach dem Motto „immer weiter, immer schneller, immer höher“ zu denken. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte, auf die Natur, auf den Menschen.
Sie sind jetzt 97 Jahre alt. Wie schafft man es, so alt zu werden?
Ich bin jetzt fast 100 Jahre – ganz ohne Technik. Ich habe nur eine Prothese. Ansonsten habe ich immer versucht, geistig und körperlich aktiv zu sein. Auch eine Regelmäßigkeit ist wichtig, zum Beispiel ein regelmäßiger Schlaf. Außerdem versuche ich, immer positiv zu denken und versuche zu retten, was zu retten ist. Daher habe ich Ihnen auch einen scharfen Brief geschrieben, um darauf aufmerksam zu machen, dass Gehirnchips eine Gefahr sein können und eben nicht nur als Heilbringer gesehen werden dürfen. Ich habe auch die Einstellung, Ehrfurcht vor allem Leben zu haben. Die habe ich vor allem im Krieg gewonnen, als ich Sanitäter war. Auch die Liebe zu Frau und Kindern ist wichtig, die Liebe zu Menschen. Aristoteles hat gesagt: Wenn die Liebe auf dem Erdball herrschen würde, dann könnten wir alle Gesetze außer Kraft setzen. Und was ich besonders liebe, ist der Wald.
Wieso den Wald?
Der Wald ist der Gesundheitsbringer. Die Japaner haben schon vor 30 Jahren damit angefangen, den Wald als Medizin zu sehen und sprechen von Waldbaden. Das bedeutet, man geht in den Wald, lässt alles auf sich einwirken. Ein regelmäßiges Waldbaden kann Krebs verhindern, den Herz-Kreislauf stärken. Heute Morgen war ich mit meiner Frau zwei Stunden im Wald unterwegs – natürlich langsam und mit vielen Pausen. Es tut der Psyche und dem Körper gut. Ich habe mir fest vorgenommen, 100 Jahre alt zu werden. Zweieinhalb Jahre habe ich noch vor mir – das schaffe ich auch noch.
Zur Person
Karl Hecht, Jahrgang 1924, ist Professor für Neurophysiologie und emeritierter Professor für experimentelle und klinische pathologische Physiologie der Humboldt-Universität zu Berlin (Charité). Die Schwerpunkte seiner Forschungsarbeiten: Stress-, Schlaf-, Chrono-, Umwelt-, Weltraummedizin, Neuropsychobiologie und Neurowissenschaften. Karl Hecht ist Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, der International Academy of Astronautics in Paris und hat in zahlreichen wissenschaftlich-medizinischen Organisationen, insbesondere in der DDR, mitgewirkt. Der in Sachsen-Anhalt geborene Wissenschaftler ist 97 Jahre alt und lebt in Köpenick.
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