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EM 2021: England - Deutschland 2:0 - Ära Löw beendet - Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Die deutschen Fussballer haben den Anschluss an die Spitze verloren – ihr Achtelfinalgegner ist effizienter. Löw wirkte eigenartig ungerührt angesichts des bevorstehenden Abgangs.

Der Bundestrainer Joachim Löw (rechts) mit den letzten Versuchen, das Unheil in London abzuwenden.

Der Bundestrainer Joachim Löw (rechts) mit den letzten Versuchen, das Unheil in London abzuwenden.

Frank Augstein / AP

Gewiss wäre es zu viel der Ehre, angesichts des EM-Achtelfinals der Engländer gegen die Deutschen in Wembley von einem Spiel zum Niederknien zu sprechen. Und doch ist es ein Match, der zumindest aus der Perspektive deutscher Fussballfans geschichtsträchtig ist: Es war nach bald 15-jähriger Amtszeit das letzte Spiel des Bundestrainers Joachim Löw. Standesgemäss mit einem Klassiker trat Löw also von der internationalen Bühne ab – nach 197 Spielen; gerne aber hätte er sich ein anderes Resultat gewünscht als jenes 0:2, das das Ausscheiden der deutschen Mannschaft besiegelte.

Verlockende Illusion

Raheem Sterling und Harry Kane, die englischen Torschützen, werden nun auf ewiglich mit dem Namen des Trainers verbunden sein, dessen Amtszeit sich nicht bloss wegen dessen ausserordentlicher Verweildauer das Prädikat einer Ära verdient hat. Der Trainer, der von 2008 bis 2016 an jedem Turnier den Halbfinal erreicht hatte, der 2014 den WM-Titel gewann und einst für die von ihm implementierte Fussballkultur nicht bloss in Deutschland gefeiert wurde, wirkte eigenartig ungerührt angesichts des bevorstehenden Abschieds.

Nicht viel mehr als ein paar Plattitüden liess er sich nach dem Schlusspfiff entlocken, auch die Medienkonferenz zeigte einen Coach, der Herr über seine Gefühlslage war. Ganz anders präsentierten sich einige seiner Spieler. Joshua Kimmich von den Bayern kämpfte mit den Tränen, auch Manuel Neuer, der Captain, wirkte längst nicht so abgeklärt wie sonst.

Lag die Fassung, mit der Löw seine finale Niederlage ertrug, vielleicht daran, dass er womöglich sogar noch Schlimmeres für seine Mannschaft befürchtet hatte, da ihn weder der Match gegen Frankreich noch jener gegen Ungarn in der Vorrunde sonderlich optimistisch gestimmt hatten?

Sicher war der Auftritt in Wembley längst nicht entschieden genug, als dass ein Sieg zwingend erschien, doch man kann auch argumentieren, dass es trotz dem klaren Ergebnis ein äusserst umkämpftes Spiel auf überschaubarem Niveau war, in dem Deutschland die Gelegenheit hatte, in Führung zu gehen. Timo Werner vergab eine gewaltige Chance gegen Englands Torhüter Jordan Pickford. Kai Havertz scheiterte ebenfalls am Goalie. Und Thomas Müller hatte noch kurz vor Schluss eine grosse Gelegenheit auf den Ausgleich zum 1:1. Mehr Chancen als den Deutschen boten sich auch den Engländern vor 45 000 Zuschauern nicht.

Und doch verdeutlicht der Auftritt, dass die DFB-Equipe international den Anschluss verloren hat an jene Mannschaften, die den Titel unter sich ausspielen. Dabei wäre es nur allzu verlockend, sich aus deutscher Optik der Illusion hinzugeben, ein ebenbürtiger Gegner gewesen zu sein, so wie es Toni Kroos nach dem Ausscheiden selbstgerecht formulierte.

In Wahrheit bewegt das Team im Angriffsspiel viel zu wenig, um die gusseiserne englische Defensive zu überwinden. Bereits zum vierten Mal hintereinander blieb England ohne Gegentor in diesem Turnier, als einziges Team. Es bedarf keiner hellseherischen Gabe, dass ebenjene Stabilität Mannschaften eher für einen Titelgewinn prädestiniert als ein schwungvoller Angriff.

Ein Auslaufmodell

Wer besonders unerbittlich mit der deutschen Mannschaft sein wollte, sah ein Auslaufmodell am Werk, eine Mannschaft, die trotz begabtem Personal samt einem Trio des Champions-League-Siegers Chelsea nicht in der Lage war, sich gegen ein Team zu behaupten, das einer klaren Direktive folgte. Eine solche nämlich hatte Englands Trainer Gareth Southgate seiner Combo vermittelt. Die Three Lions mögen bis jetzt keine aufregende Mannschaft sein, aber sie sind eine mit einer klaren Identität. Schnörkellos, effizient, ein wenig glanzlos. Und doch ist das viel mehr als das, was diese deutsche Elf aufbieten konnte, die sich nicht entscheiden konnte, wie ihr Spiel aussehen sollte.

Dabei erschien ihr Gegner gewiss nicht unüberwindlich. Zunächst erwiesen sich die Engländer als gute Gastgeber im Sinne Joachim Löws: Er hatte gehofft, dass die Engländer das Spiel in Wembley machen und der deutschen Mannschaft auf diese Weise Räume für ihr Konterspiel eröffnen würden. Zwar drückte sich im Ergebnis jene Effizienz aus, die das englische Spiel in der Vorrunde gekennzeichnet hatte. Die Bemühungen allerdings waren dann doch ein wenig grösser als diejenigen der ersten drei Spiele, obschon der Auftakt ganz und gar den Deutschen gehörte, ehe sie die Initiative temporär an die Engländer abtraten.

Welche Fehler er gemacht habe – das wurde Joachim Löw unmittelbar nach dem Spiel gefragt. Eine klare Antwort wollte er nicht geben. Ein Turnier zu spielen, so Löw, bedeute, Fehler zu machen. Und tatsächlich fällt es schwer, einzelne Entscheide, Aufstellungen und taktische Winkelzüge für das Ausscheiden verantwortlich zu machen.

Vielmehr erscheint das erneute Scheitern keineswegs überraschend: Seit dem Vorrunden-Aus 2018 an der WM in Russland hat die Mannschaft nicht mehr jene Dynamik entfalten können, die sie für einen Titelgewinn prädestiniert hätte. Die letzten drei Jahre mit Löw erschienen wie eine Qual. Dabei waren es nicht allein die spektakulären Aussetzer: Das 0:6 gegen Spanien, das 1:2 gegen Nordmazedonien, das Scheitern in der Nations League. Es war die Häufung eher peinlicher bis katastrophaler Ereignisse, die alles andere als ein relativ frühes Ausscheiden an der EM zu einer grossen Überraschung gemacht hätte.

Quälende Spätphase

So verabschiedet sich Löw nicht mit einem Debakel, das manche Kritiker ihm geweissagt hatten. Eher schon mit einem Match, der geradezu prototypisch für die Defizite der Spätphase der Ära Löw steht: Ein Fussballspiel, dem eine klare Signatur fehlt. Eine Mannschaft, deren Hierarchie durch die Begnadigung der ausgemusterten Routiniers Mats Hummels und Thomas Müller erneut durcheinandergewirbelt wurde. Eine Mannschaft, die kaum je in der Lage war, ihr beachtliches Potenzial auszuschöpfen.

Die Abgeklärtheit, mit der Löw das Ende nach 15 Jahren quittierte, mag für manche Beobachter irritierend erscheinen. Womöglich aber drückt sich darin auch eine gewisse Erleichterung aus – wohl wissend, dass an diesem letzten Auftritt nicht viel zu gewinnen gewesen war, aber doch sehr viel zu verlieren.

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